Bewerben aus Sicht eines Personalentscheiders
Ihr kennt das: schon wieder eine Absage! Obwohl ihr viel Mühe und Fleiß in eure Bewerbung reingesteckt habt. Warum habt ihr keine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhalten? Ihr habt Ratgeber um Ratgeber gewälzt, im Internet recherchiert. Ihr habt geschrieben, was ihr alles könnt und von eurer Bereitschaft, in einen neuen Job zu investieren … und nun?
Ich mache euch einen Vorschlag: Lasst uns mal die Stühle tauschen und ihr seid für eine Stunde ein Personalentscheider. Vor euch liegen 50 Bewerbungsmappen und in einer Stunde möchte euer Geschäftsführer die besten fünf Bewerbungen mit euch besprechen.
Damit ihr – jetzt in der Rolle als Personalentscheider – überhaupt Zeit für die Sichtung der besten zehn Bewerbungsmappen habt, ist es wichtig, das Mappen-Volumen erst einmal zu reduzieren. Wichtig: Alle Bewerbungen sind Antworten auf eine Stellenausschreibung, in der ihr genau beschrieben habt, welche Aufgaben der Bewerber im Job zu erledigen hat und welche Voraussetzungen der Bewerber mitbringen sollte.
- Vorbereitung ist die ganze Miete!
Bewerber X hat sich mit der Stellenausschreibung auseinandergesetzt. Er hat sich vorbereitet und schreibt nicht alles, was er kann, in 8-Punkt-Schrift ins Anschreiben. Stattdessen bezieht er sich präzise auf die Stellenanzeige und listet nach einer kurzen Angabe, wie er auf die Anzeige aufmerksam geworden ist, stichpunktartig, eingerückt und fett gedruckt, seine Kompetenzen passend zum Anforderungsprofil auf. Dieser Bewerber hat sich vorher eine Tabelle angefertigt, in welcher er die neuen Aufgaben mit seinen bisherigen Erfahrungen und Fertigkeiten unterlegt hat. Struktur gewinnt! - Phrasen langweilen!
Jetzt werdet ihr überrascht sein: Unser Bewerber X hat die Seite aus dem Bewerber-Ratgeber, auf der standardmäßig Schlusssätze mit der Aufzählung von persönlichen und sozialen Fähigkeiten zum Standard erhoben werden, zu einem Papier-Flugzeug verarbeitet. Seine Kinder freuen sich darüber genauso sehr wie ihr, denn eure Augen sind müde von Worten wie „Teamfähigkeit, Sorgfalt, Flexibilität“. Diese Softskills hat er euch mit seiner genauen Kompetenzaufzählung sowieso schon bewiesen. Stattdessen bittet er ganz direkt um einen Termin zum persönlichen Gespräch.
Super! Bewerber X verschwendet eure knappe Zeit nicht und kommt zum Punkt.
Na also: teamfähig und ergebnisorientiert.
Zwar entdeckt ihr in seinem Anschreiben einen oder zwei Rechtschreibfehler. Ihr seht aber auch, X hat seine Sätze nirgendwo abgeschrieben. Er hat sie selbst formuliert. Diese Mappe landet auf dem linken Auswahlstapel, also „Einladen“. Ihr sucht vielleicht jemanden im kaufmännischen Bereich. Oh, manche Bewerber haben die DIN-Norm im Anschreiben angewandt? Berufsrelevant! Linker Stapel – es läuft! - Sei du selbst – auch auf dem Deckblatt!
Zehn Anschreiben haben euch davon überzeugt, den Lebenslauf anzusehen. Was für ein Deckblatt! Minimale Stilmittel wie ein großes „W“ im Wort „BeWerbung“ zeigen, dass X es verstanden hat, seine Kenntnisse und Fertigkeiten zu bewerben, das Foto in Berufskleidung zeigt, dass X stolz darauf ist, den Beruf eines Kochs, Schornsteinfegers oder der Krankenschwester auszuüben. X hat auf ein Riesenbild verzichtet, sondern es etwas seitlich platziert, mit dem Blick zum Betrachter: X muss nicht immer die erste Geige spielen, aber ist immer interessiert – oder? Die Farbe Blau wurde für die grafischen Elemente genutzt: Sie steht für Ruhe, Entschlossenheit, Sachlichkeit. Habt ihr Lust, umzublättern und mehr zu erfahren? Nur zu! - Gib mir Informationen zu deinem Job!
So eine Erwerbsbiographie kann lang sein: Wie schön, dass X euch nicht die Minuten stiehlt und seine aktuellen Berufserfahrungen und Praktika gleich zu Beginn listet. Die Zeitschiene ist einheitlich gestaltet, ihr erfasst die Daten auf einen Blick – X schreibt fettgedruckt, was er gemacht hat und wo und ergänzt im Hinblick auf die Stellenausschreibung mit je drei Tätigkeitsmerkmalen. Da weiß einer, was er will. Ihr merkt euch die Kerninformationen in kürzester Zeit. X war länger erkrankt, schreibt dazu, dass er wieder fit und leistungsfähig ist – völlig in Ordnung, oder? Auch sogenannte „berufliche Neuorientierung“ findet sich wieder – kürzer als drei Monate. Das hätte er nicht schreiben müssen, aber er will transparent sein. Fair! - Erzähl mir deine Geschichte!
Nun habt ihr nur noch sieben Bewerbungen vor euch liegen. Ein persönliches Gespräch wäre eine lohnende Investition. Mehr als fünf Bewerber könnt ihr aber nicht einladen. Was nun? Ihr blättert weiter und entdeckt eine weitere Seite. X bewirbt sich als Koch und berichtet von einem 4-Gänge-Menü für eine Familienfeier. Du siehst ein Foto vom Rezept oder ein Foto von einer angerichteten Speise. Vielleicht bewirbt sich X auch als Projektmanager und erzählt euch, wie er sein letztes Projekt geplant und durchgeführt hat. Möglicherweise sucht X auch einen Ausbildungsplatz als Fachinformatiker für Systemintegration und präsentiert ein Foto von einer Website, die er für einen Freund erstellt hat und er schildert euch seine Herangehensweise. Vielleicht ist X auch an einem Quereinstieg im Bereich der Pflege interessiert und berichtet davon, dass er in der Familie schon die Oma und die Kinder der Tante betreut hat. X könnte auch erzählen, dass er schon jahrelang bloggt und ein paar Links und Fotos dazu posten, wenn X zum Beispiel für eine Community texten möchte. Euer Bild von X wird persönlich. X zeigt sich euch und gewinnt an Konturen. Ihr seid neugierig und möchtet X kennenlernen.
Linker Stapel! Gewonnen! - Ach ja, das Layout
Ein stilistischer Hingucker wirkt wie ein Anker: ein simpler blauer Längsstreifen auf jedem Blatt. Und schon merkt ihr euch „die Bewerbung mit dem blauen Streifen“. Wetten, dass …?
Jetzt seid mal ehrlich, liebe „Stühle-Tauscher“: Vor einer Stunde habt ihr noch gedacht, die Auswahl liegt allein beim Personaler. Dabei hat euch X durch seine Bewerbung wie durch ein Einkaufscenter geführt. So viele Schaufenster! Wäre eure Bewerbung auch eines davon gewesen? Wenn ihr das positiv beantworten könnt – Glückwunsch!
Lasst uns miteinander sprechen – aber erst nächstes Mal, jetzt gehe nämlich ich mit meinen fünf Mappen zum Chef!
Lasst es euch gutgehen!
Eure Ulrike