Habt ihr im Bus oder in der S-Bahn schon mal eine Fremdsprachenlektion bei Babbel oder Duolingo absolviert, um euer Spanisch vor dem Urlaub auf Vordermann zu bringen? Oder auf Youtube im Strick-Tutorial noch schnell geschaut, wie man einen Schal im Patentmuster strickt? Oder euch im wöchentlichen Podcast über neue Methoden des Online-Marketings informiert? Dann habt ihr „Microlearning“ betrieben, eine Lernform, die in den letzten Jahren immer beliebter wird und insbesondere im Bereich E-Learning zu den Trends gehört, an denen man kaum vorbeikommt.
Doch was ist Microlearning nun genau und warum wird es nicht nur bei Einzelpersonen, sondern auch Firmen und Organisationen immer beliebter?
Lernen auf den kleinsten Nenner gebracht
In Microlearning – oder zu Deutsch „Mikrolernen“ – steckt das griechische Wort für klein (mikros) und deutet schon an, was diese Lernform ausmacht: das Lernen anhand von zeitlich kurzen Lernsequenzen mit dafür geeigneten Inhalten. Lernen von der „Mikroperspektive“ her zu denken, ist prinzipiell nichts Neues. Man denke nur an den Klassiker des Lernkarteikastens mit den fünf Fächern, mit dem unzählige Schüler bereits versucht haben, in täglichen kurzen Lernsitzungen Vokabeln oder anderes Faktenwissen in ihr Langzeitgedächtnis zu befördern. Doch mit der zunehmenden Verbreitung von mobilen, webfähigen Endgeräten wie Tablets und Smartphones, dem Aufstieg von Videoportalen wie YouTube und der kurzen und schnellen Kommunikation mit Messaging Apps wie WhatsApp & Co. eröffneten sich für Microlearning gänzlich neue Möglichkeiten. So lebt zum Beispiel der gute alte Karteikasten heutzutage in Form digitaler Vokabeltrainer wie „Phase 6“ weiter. Es ist deshalb vielleicht kein Wunder, dass Microlearning heutzutage eher als eine spezielle Art des E-Learnings gesehen wird.
In meiner Definition zeichnet sich Microlearning durch folgende Merkmale aus:
- Lernen anhand von kurzen Lernsequenzen von 3-5 Minuten, maximal 10 Minuten
- Verwendung mobiler Geräte als (Haupt-)Plattform
- Schnelles automatisiertes Feedback zu Lernfortschritt und Lernerfolg
- In der Regel ergänzend zu anderen Lernformen genutzt
Am wirkungsvollsten im (Lern-)Verbund
Warum nur ergänzend zu anderen Lernformen? Nicht alle Lerninhalte lassen sich auf wenige Minuten reduzieren bzw. würden zu sehr vereinfacht. Umfangreiches Grundlagen- und Hintergrundwissen kann bzw. sollte nicht (allein) per Microlearning vermittelt werden. Fußballerisch betrachtet wäre Microlearning derjenige Spieler, der zwar nicht das Tor schießt, aber durch beharrliche Laufarbeit beim Angriff Chancen herausarbeitet und letztlich das Tor durch das entscheidende Zuspiel erst ermöglicht. Diese Lernform eignet sich am besten zum Wiederholen und Verankern von bereits vermitteltem Wissen aus anderen, umfangreicheren Unterrichtsformen. Besonders geeignete Lerninhalte dafür sind beispielsweise Vokabeln, Regeln/Vorschriften und Fachbegriffe. Auch der Aufbau von Handlungskompetenz für überschaubare und konkrete Situationen ist damit gut möglich – so habe ich zum Beispiel als sehr später Besitzer eines PKWs das Messen des Reifendrucks letztes Jahr per Youtube-Tutorial gelernt.
Interaktives Lernen
Die fürs Microlearning genutzten Medien sind vielfältig. Am beliebtesten sind heutzutage Erklärvideos und Apps bzw. Software wie die oben schon erwähnten Duolingo und Babbel oder die Microlearning-App KnowledgeFox sowie Podcasts. Insbesondere Apps erlauben es, das Microlearning-Kennzeichen von regelmäßigem Feedback und Interaktion mit dem Lerner umzusetzen. So beantwortet man in KnowledgeFox nach einer Lerneinheit eine Reihe von Quiz-Fragen in verschiedenen Formaten (Multiple Choice, Matching etc.). Man erhält nicht nur sofort Rückmeldung, ob die Fragen erfolgreich beantwortet wurden, sondern im Falle eines Fehlers auch sofort die richtige Lösung und eine Erklärung dazu, die auch Bilder, Video- und Audio-Clips enthalten kann. Beim Sprachenlernen mit Duolingo wird die richtige Aussprache zusätzlich durch Nachsprechübungen trainiert, die vom Programm selbst ausgewertet werden – allerdings vielleicht keine ideale Aktivität für die öffentlichen Verkehrsmittel.
Die Lernform fürs digitale Zeitalter und die Arbeitswelt 4.0
Microlearning erfreut sich großer Beliebtheit, weil es offenbar eine Lernform ist, die gut den Anforderungen und Bedürfnissen unserer zunehmend digitalisierten und beschleunigten (Arbeits-) Welt entspricht. Im Idealfall kann flexibel von überall mit wenig Zeitaufwand zielgerichtet gelernt bzw. wiederholt werden, ob privat oder am Arbeitsplatz. Kein Wunder, dass Microlearning im E-Learning-Bereich vom amerikanischen Bildungsexperten Karl Kapp Ende 2016 als einer der wichtigsten Trends der nächsten fünf Jahre vorgestellt wurde und bei vielen Arbeitgebern und Firmen zunehmend für Weiterbildung von Mitarbeitern eingesetzt wird. Auch auf der diesjährigen Learntec, DER Messe für digitale Bildung in Deutschland, gehörte Microlearning zu den Begriffen, die ich bei vielen Anbietern von E-Learning-Lösungen für Firmen zu lesen oder zu hören bekam. Überraschend ist das nicht: Lerninhalte sind schnell erstellt, entsprechen den gegenwärtigen Konsumgewohnheiten der Mitarbeiter und der Einbau ins möglicherweise bereits bestehende E-Learning-Angebot ist problemlos möglich. Das schnelle Feedback und die geringe Zeit, die dafür aufzuwenden sind, können zusätzlich motivierend wirken.
Microlearning und Gamifcation – ein gutes Team
Viele Anbieter von Microlearning-Formaten versuchen, diesen Effekt noch zu verstärken, indem sie ihnen Elemente eines weiteren Trends der digitalen Bildung hinzufügen: „Gamification“. Mit Gamification werde ich mich in einem zukünftigen Beitrag noch ausführlicher beschäftigen. An dieser Stelle soll es ausreichend sein festzuhalten, dass es sich um die Integration von Mechaniken aus Computer- und Gesellschaftsspielen in Lernprozesse handelt. Konkret äußert sich das unter anderem durch die Möglichkeit, besondere Auszeichnungen bzw. Medaillen (badges) für Lernfortschritte oder besondere Lernleistungen zu erhalten, Aufgaben vor Ablauf eines Zeitlimits zu lösen, seine Leistungen mit denen anderer Microlearning-Absolventen in Rankings zu vergleichen oder diese gar direkt zu einem „Wissensduell“ herauszufordern.
Grenzen des Microlearnings
Bei allen Vorzügen sollen aber auch die Grenzen dieser Art des Lernens nicht verschwiegen werden. Wie schon erwähnt, ist Microlearning im „Lernspiel“ eher ein Zuspieler denn ein Spielmacher. Wenn insbesondere die Anbieter von Microlearning-Sprachlernapps im Internet gerne damit werben, dass man bei regelmäßiger Nutzung schon nach drei Wochen eine Fremdsprache sprechen könne, so sind solche Aussagen mit Vorsicht zu genießen. Es hängt letztlich natürlich auch davon ab, wie man Sprechkompetenz definiert. Wer eine Fremdsprache umfassend beherrschen möchte – das heißt, neben sprechen und verstehen auch lesen und vor allem schreiben möchte – wird um einen längeren „richtigen“ Sprachkurs nicht herumkommen. Außerdem spielen die Zeit und Disziplin, die man fürs Lernen aufwendet, eine große Rolle. In anderen Worten: Nur, weil man nun theoretisch überall und zu jeder Zeit Microlearning betreiben kann, heißt es nicht, dass man es auch automatisch tut. Das Eintakten in den eigenen Alltag und die für jedes Lernen nötige Konstanz verlangen bewusste Anstrengung – insbesondere, wenn nach der ersten Euphorie der Reiz des Neuen verflogen ist und die Motivation auf ein normales Level sinkt. Zudem sind bei kleinen Lerneinheiten auch die Lerneffekte klein, nicht immer sofort wahrnehmbar und flüchtig, gerade wenn man nicht am Ball bleibt. Für mich bedeutet das ganz konkret, dass ich das YouTube-Tutorial zur Reifendruckmessung vor dem Familienurlaub Anfang März wohl nochmal schauen muss … 🙂
Wie sieht es bei euch aus – betreibt ihr (schon) Microlearning? Und wenn ja, wie/womit und wo?
Zum Schluss nochmal die Links zu den Beispielen, die im Text angesprochen werden:
Babbel
Duolingo
Strick-Tutorial
Microlearning als einer der wichtigsten Trends
Microlearning in der betrieblichen Weiterbildung
Vielen Dank für das anschauliche Hinführung ins Microlernen. Ich stehe wieder einmal mit meinen Schüler in der Algebra beim Faktorisieren und frage mich, ob ich das Thema nicht auch mit einem Art Microlearning effizienter üben lassen kann. Die Regeln kennen sie schon lange auswendig, doch die Mustererkennung in der kronketen Aufgabe ist eher zufällig. Es könnte eine Art MultipeChoise Form sein, das auf einem Netz von vielen falschen und richtigen Umformungsschritten steht. Durch die Wahl des nächsten falschen Schritts bekommt der Schüler spez Trainingaufgaben und kommt dann wieder zurück zum letzten Schritt. Wie könnte man so etwas realisieren? Gibt es… Weiterlesen »
Hallo Robert, schön, dass du den Artikel hilfreich findest! Der Lösungsansatz für dein geschildertes Problem erscheint sehr sinnvoll. Er führt aber schon in den Bereich der „Adaptiven Lernsysteme“/“Learning Analytics“ hinüber, da sich ja die Antworten bzw. Hinweise oder Folgeaufgaben auf Basis der vorigen Eingabe/gewählten Antwort deiner Schüler*innen ändern sollen. Idealerweise sind gute Microlearning-Systeme/Plattformen mehr oder weniger adaptiv. Zu diesen Themen hatte ich hier auf dem Blog unter http://www.ibb.com/blog/adaptive-lernsysteme-wie-lernt-man-heute-und-in-der-zukunft/ und unter http://www.ibb.com/blog/adaptive-lernsysteme-online-lernen-teil-2/ schon einmal etwas geschrieben. Praktischerweise habe ich dort unter den konkreten Beispielen/Links bezüglich adaptiver Lernsysteme die adaptiven Mathebücher der Firma bettermarks genannt. Das dahinterstehende Prinzip geht in eine ähnliche… Weiterlesen »
Ich finde das Thema auch sehr spannend. Ich werde zum Weiterbilden bald zunächst einen Englischkurs besuchen. https://sprachschuleschneider.ch/englischkurse
Das ist auf jeden Fall etwas, was ich auch mal ausprobieren will. Man hat ja auch immer weniger Zeit und will doch so viel lernen. Ich fahre auch viel U-Bahn und das ist ja eigentlich „verschwendete Zeit“
Hallo Eric,
ich kann dir auf jeden Fall empfehlen einfach loszulegen – wie schon geschrieben, höhlt hier der stete Tropfen bzw. schon das Tröpfchen den Stein! Die heutige Technik erlaubt es uns ja, auch in ziemlich vollbesetzten U-Bahnen mit dem Microlearning loszulegen. Nur die Ausspracheübungen beim Sprachenlernen mache ich z.B. lieber zuhause – es sei denn, man hätte gerne die Aufmerksamkeit des ganzen Abteils/Wagens :-).
Lernpausen sind gesund. Aber ich glaube microlearning hat genau so viel Erfolg wie es schon im Titel steht. Ich halte mehr von intensivem Lernen, zB wenn man eine Sprache lernt und nur ein Wort hängenbleibt. An einer Sprachschule Englisch zu lernen halte ich für vernünftiger. http://www.sprachschuleschneider.ch/de/kurse/englischkurse/
Hallo Sara! Danke für deinen Kommentar. Microlearning kann man mit Sicherheit nicht auf dieselbe Stufe stellen, wie das intensive Lernen – das stimmt. Wir glauben allerdings daran, dass die sich ergänzen können und manchmal ist das Mictolearning in einem bestimmten Moment sehr hilfreich. Übrigens, im Artikel spricht Ulf auch darüber, dass man bei Sprachenlernen nicht um einen „richtigen“ Kurs herumkommt 😉
Liebe Grüße
Anastasia
Micro-Learning ist wunderbar! Ich bin gerade im Fitnessstudio und recherchiere gleichzeitig zum Thema Disruptive Technologien im Bildungsbereich indem ich mir TEDx-Talks anschaue. Disruptiver geht es eigentlich nicht 🙂
Herr Pötzl, ich bin auf Ihre Ausführungen zur Gamification sehr gespannt! Und hoffe es geht um mehr als die Badges und Auszeichnungen 🙂
Vielen Dank fürs Teilen dieses „Best Practice“ Beispiels.
Eine Auflistung weiterer interessanter Podcasts – aus dem Business Bereich – haben wir ja seit Neuestem auch auf dem Blog, falls Ihnen mal der Stoff ausgeht 😃.
Gamification ist ein wahnsinnig interessantes Thema, das mich als Brett- und Computerspieler (auch wenn ich dieser Tage wegen Familie & Co viel zu selten dazu komme😒) sehr reizt. Dieser Beitrag wird aber noch etwas dauern, mein nächster geplanter Beitrag hat wieder *Teaser* Learning im Titel……😃
Ein guter Artikel, es wird spannend zu sehen sein, wie das microlearning sich entwickelt. Hier ist man auf jeden Fall up to date;)
Vielen Dank! Es freut uns, dass der Artikel gut ankam. 🙂
Viele Grüße vom Redaktionsteam
Nicole