Ich bin immer wieder überrascht, wie vielfältig sich berufliche Qualifizierung auswirken kann – wie sie neue Türen öffnet, Lebensläufe verändert und berufliche Weichen stellt.
Besonders spannend wird es, wenn man dabei auf so interessante Menschen wie Marine Zschischang trifft. Die gebürtige Armenierin und Diplom-Sportlehrerin ist unter anderem mehrfache armenische Meisterin im Schach, deutsche Schach-Ländermannschaftsmeisterin und deutsche Vizemeisterin im Schnellschach. Über das IQ Netzwerk Niedersachsen – IQ steht für „Integration durch Qualifizierung“ – wurde sie Teilnehmerin bei uns im IBB und hat eine sprachliche Qualifizierung speziell für Lehrer aus dem Ausland absolviert.
Im folgenden Interview erfahrt ihr, warum Marine Zschischang nach Deutschland kam und warum sie sich nach zwanzig Jahren als Fitnesstrainerin beruflich verändern möchte. Sie erzählt, wie die Teilnahme an der Weiterbildung ihr das nötige Selbstvertrauen gegeben hat, ihren Weg zu gehen. Und sie erklärt uns, was das alles mit ihrer großen Leidenschaft zu tun hat: Schach.
Viel Spaß!
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Frau Zschischang, was hat Sie nach Deutschland geführt?
Ich bin 1997 als Aupair nach Deutschland gekommen mit der Hoffnung, hier auf vielen Turnieren Schach zu spielen. Bei einem Turnier habe ich meinen späteren Mann kennengelernt. So bin ich dann in Deutschland geblieben.
Übrigens: Bei unserer ersten Begegnung habe ich meinen Mann im Turnier besiegt … der hat ein halbes Jahr lang nicht mit mir geredet. Als wir später noch einmal gegeneinander spielten und ich verlor, hat er auf einmal gemerkt, dass ich eine nette Frau bin!
Sie waren mehrfache armenische Meisterin im Schach und unter anderem deutsche Vizemeisterin im Schnellschach. Ist Schach hilfreich bei der Integration in Deutschland?
Ja, das ist wie in jeder Sportart: Man geht in den Verein und lernt viele Leute kennen, die genauso ticken. Das ist wie eine Familie. Alle haben das gleiche Interesse. Und durch das Schachspielen konnte ich auch viel reisen in Deutschland.
Wie sind Sie auf das IQ Netzwerk und den Sprachkurs für Pädagogen aufmerksam geworden?
Ich habe zwanzig Jahre lang als Fitnesstrainerin im Gesundheitszentrum gearbeitet. Als die Kinder noch klein waren, war das gut. Aber eigentlich fühle ich mich doch eher als Lehrerin berufen. Ich habe ja in Armenien Schach und Sport am Sportinstitut studiert und einen Abschluss als Diplom-Sportlehrerin. Auf dem pädagogischen Gebiet möchte ich jetzt noch einmal beruflich Fuß fassen. Also habe ich mich arbeitssuchend gemeldet.
Die Agentur für Arbeit hat mich zur zuständigen Anerkennungs- und Qualifizierungsberatungsstelle des IQ Netzwerks Niedersachsen in Soltau geschickt, um dann über die Qualifizierung beim IBB weitere wichtige Schritte im Kontext der Anerkennung meines ausländischen Zeugnisses als Pädagogin zu gehen. Und ich muss sagen, ich bin darüber sehr froh. Durch den Kurs habe ich viel Selbstbewusstsein gewonnen. Denn durch die Gemeinsamkeit mit den anderen Teilnehmern entdeckt man, dass man nicht alleine ist mit dem Problem, dass ausländische Zeugnisse speziell von Lehrern in Deutschland so schwer anerkannt werden. Man nimmt das nicht mehr so persönlich und fühlt sich weniger demotiviert.
Dieser Kurs hat mir nicht nur mehr Deutsch beigebracht, sondern auch Durchhaltevermögen. Er hat mir Mut gemacht, mich weiter zu bewerben. Ich kann das allen nur empfehlen.
Und arbeiten Sie inzwischen im pädagogischen Bereich?
Ja, ich bin Schulbegleiterin für ein Kind mit Down-Syndrom. Es ist in der dritten Klasse. Aber – und das ist das Spannende – mein Arbeitgeber, eine Grundschule in Bergen, hat mir bereits im Vorstellungsgespräch von einem Projekt mit autistischen Kindern erzählt und mir angeboten, dabei im Rahmen der Therapiestunden Schach zu unterrichten. Allerdings müssen dafür erst noch die Gelder genehmigt werden. Ich hoffe, das klappt. Denn es wäre doch wirklich eine schöne Sache, mit Schach etwas zu bewirken!
Wir drücken Ihnen auf jeden Fall die Daumen! Sie haben ja auch bereits jede Menge Erfahrung, Kindern Schach beizubringen.
Genau, seit dem Studium trainiere ich Kinder. Auch in Deutschland bin ich in einigen Vereinen tätig und habe schon einige Schülerinnen und Schüler bis zur Teilnahme an Weltmeisterschaften trainiert.
Ist es eigentlich ein Unterschied, Kindern oder Erwachsenen Schach beizubringen?
Nein, aber es ist immer schön, wenn die Eltern beim Unterricht mit den Kindern dabei sind. Denn manchmal sind die Eltern langsamer im Kopf – und das motiviert die Kinder umso mehr. Das Schöne am Schach ist auch: Es gibt ja im Prinzip keine Altersbegrenzung. Ein Zehnjähriger kann gegen einen Achtzigjährigen spielen und gewinnen. Das ist motivierend.
Man denkt auch immer, man muss unglaublich klug sein zum Schachspielen, aber das stimmt nicht. Ich habe einen Schüler, der ist geistig behindert, aber im Schach genauso gut wie ich.
Also ist Schach nicht nur hilfreich bei der Integration in Deutschland, sondern ganz umfassend von allen Menschen! Wie kann man sich denn den Unterricht vorstellen?
Schach hat ja oft den Ruf, sehr kompliziert zu sein. Aber man kann es sehr leicht lernen, wenn man es richtig erklärt bekommt. Nachdem die Kinder die Grundregeln kennen, erkläre ich ein taktisches oder strategisches Thema. Dann arbeiten die Kinder mit Beispielen oder auf einem Arbeitsblatt. Am Ende probieren sie das Gelernte direkt im Spiel gegeneinander aus, wenden die neuen Tricks an und freuen sich unwahrscheinlich, wenn es klappt.
Die Kinder sind sehr motiviert. Es ist nicht wie ein Schulfach, nicht wie Mathe oder Deutsch. Die Kinder haben einfach Spaß. Aber es hilft ihnen auch in anderen Fächern, beim strategischen Denken, beim Rechnen und bei den logischen Fähigkeiten. Sie werden kreativ, können um die Ecke denken. Schach ist förderlich in vielen Bereichen.
Kann Schach besonders für lernschwache Kinder hilfreich sein?
Ja, aber eben nicht nur für lernschwache Kinder, auch für alle anderen. Sie alle können zusammen in einer Gruppe spielen und trotzdem individuell gefördert werden. Deshalb soll Schach auch als Therapiestunde anerkannt werden. Vielen Autisten zum Beispiel helfen beim Schach die festen Strukturen im Kopf. Sie können sich unwahrscheinlich gut auf eine Sache konzentrieren. Gleichzeitig trauen sie sich beim Schachspielen aber auch aus ihrem Schneckenhaus.